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„Ich bin kein Schmerzensmann“

Seine aktuelle Platte liegt dem Musiker Enno Bunger sehr am Herzen. Da tun negative Kritiken schon teilweise weh. Warum der Frontmann des Trios trotzdem nicht aufhören kann, die Rezensionen zu lesen, erklärt er im Interview.

(Foto: Gerald von Foris)

Dass ein Kirchenorganist das Zeug zum Popmusiker hat, beweist uns Enno Burger. Schon im Alter von sechs Jahren bekam er Klavierunterricht und entwickelte erstes Interesse an deutschem Liedgut. Als sein Lehrer wechselte und er fortan von einem Barpianisten unterrichtet wurde – der selbst komponierte – hatte er sein Vorbild gefunden. Schon im Jahr 2005 – kurz vor dem Abitur – beginnt der im ostfriesländischen Leer heimische Musiker erste Stücke mit deutschen Texten zu komponieren, bewirbt sich daraufhin an der Mannheimer Musikschule und scheitert am Aufnahmeverfahren. Doch Enno Bunger war motiviert genug nicht gleich aufzugeben. Zwei Jahre später gründete er seine gleichnamige Band zusammen mit Bassist Bernd Frikke und Drummer Nils Dittrich, mit der sie sich beim Band-Ausscheid des Radiosenders N-JOY gegen mehr als 100 Konkurrenten durchsetzen konnten.


Mit dem gewonnenen Selbstbewusstsein produzierten sie in Eigenregie ihre erste EP „Mit Großen Schritten“, die ihnen einen Plattenvertrag bei PIAS bescherte. Daraufhin veröffentlichten sie im Jahr 2010 ihr Debüt „Ein Bisschen Mehr Herz“, welches mit gefühlvollen Balladen sowie einer Mischung aus Melancholie und Euphorie bestach. Ihre neue Platte „Wir Sind Vorbei“ erschien im März diesen Jahres, sie thematisiert das selbstbestimmte Aus seiner langjährigen Beziehung. 

Zum Einstieg, erklär doch mal warum eine Band sich nach einem einzelnen Mitglied benennt – das ist ja eigentlich relativ irreführend und hat euch gleich in die Singer/Songwriter-Schublade manövriert.

Enno Bunger: Meine Eltern sind schuld, die haben mich so genannt. Ich hab mit 17 angefangen Lieder zu schreiben, vorher war ich immer nur als Keyboarder bei anderen Bands tätig. In mir hatte ich diese eher melancholische Seite, zumindest musikalisch, und das wollte ich eben auch mal ausleben. Für die Songs fragte ich dann Bernd und Nils ob sie mir für eine Aufnahme mal kurz behilflich sein könnten und dann sind wir bei der Formation geblieben. Wir begannen Konzerte zu buchen und das hat direkt von Beginn an guten Anklang gefunden. Den Bandnamen haben wir währenddessen einfach vergessen, deshalb blieb es einfach dabei. Es ist eben die Konsequenz daraus, dass ich alleine angefangen habe, die Texte von mir stammen und auch die Grundideen der Lieder. Außerdem klingt dieser Name in Süddeutschland sowieso eher wie ein Phantasiename. (lacht)

Ihr wolltet schon lange mit dem Produzenten Tobias Siebert zusammenarbeiten, für die aktuelle Platte konntet ihr ihn von euch überzeugen, nachdem er die Erste nicht arrangieren wollte. Warum sollte es unbedingt der Herr Siebert sein?
Enno: Wir hatten immer wieder Kontakt zu ihm, weil wir fanden, dass er ein wirklich guter Produzent ist. Er macht sehr differenzierte Aufnahmen, es passiert sehr viel darin. Seine Platten wurden teilweise direkt aufgenommen, klingen aber trotzdem sehr sauber und dynamisch. Wir wollten diese Energie, die wir live haben, auch auf die Platte übertragen. Die Produktionen für klez.e sowie Lichter sind fantastisch, sogar das dritte Juli-Album ist vom Sound her krass. Tobias hat vornehmlich dabei geholfen meine Worte klanglich zu verstärken. In „Der Astronaut“ hört man das ganz deutlich, da gibt es ganz viele Ebenen wo Musikinstrumente sozusagen Bilder darstellen. Wir haben mit sehr viel alten Effektgeräten und Bandmaschinen gearbeitet, Schlagzeug-Spuren schneller eingespielt, um sie dann langsamer abzuspielen. Dadurch klingt es bombastischer und fetter. Während er unser Debüt erst nach zwei Flaschen Wein toll fand, war er hingegen bei „Wir Sind Vorbei“ sofort begeistert und wollte das unbedingt machen.

„Wir Sind Vorbei“ handelt von dem Ende deiner letzten Beziehung. Du verarbeitest die Wut, Trauer und Verzweiflung unüberhörbar in den zehn Stücken. Was veranlasste dich dazu das gesamte Album diesem Thema zu widmen?
Enno:
 Ich wollte mal nicht so eine Liedersammlung haben, wo alles durcheinander passiert, sondern ein in sich geschlossenes Werk machen. Das Thema war zu dem Zeitpunkt der Trennung einfach da. Inspiriert war das Ganze von Franz Schuberts „Winterreise“ – man hat einen Liederzyklus, wo auch ein dramaturgischer Aufbau vorhanden ist. Das war eine Herausforderung, die ich sehr spannend fand. 

Was sagt die andere Beziehungshälfte dazu, dass du euer Ende so thematisierst?
Enno: 
Och, die findet das schön. Wir haben uns ja im Guten getrennt. Es ist eher noch eine Würdigung für diese Zeit, das war auch meine Absicht dahinter. Es gab ja auch einige Rezensionen, die schrieben, dass sie unbedingt mehr Hass hören wollten. Und da kann ich dann leider nur sagen, dass ich nur so schreiben konnte, wie es mir dabei ging. Es gab halt keinen Hass – ich hätte das auch gerne musikalisch umgesetzt. Deshalb gibt es halt schon ein paar verzweifelte, verlorene Ausbrüche, aber keinen krassen Wutanfall.

Steht hinter der Songfolge von „Euphorie“ über „Leeres Bot“ bis hin zu „Die Flucht“ eine Intention? 
Enno: Ja, am Anfang wird sozusagen das Ende verraten. Die ersten beiden Stücke vermitteln so eine Aufbruchstimmung. Hinter allem was ich mache, ist immer auch ein Bild. Bei „Euphorie“ soll der durchgeviertelte Rhythmus das Gezwungene verstärken, nach dem Motto „Ich will das unbedingt, es ist aber vielleicht gar nicht so“. Deshalb klingt das so krampfhaft. Und danach erzähl ich in den Stücken was eigentlich vorher passiert ist, bei „Regen“ sind dann zum Beispiel die ersten Brüche da.

Kannst du denn auch zu positiven Dingen so kreativ sein?
Enno:
 Ja, das hab ich beim ersten Album auf jeden Fall viel gemacht, das ging eigentlich auch ganz gut. Ich hab aber für mich selbst festgestellt, dass ich traurige, düstere Musik sehr gerne mag wie z. B. Bat For Lashes oder Archive. Es ist nur so, dass man sich nicht oft ans Klavier setzt, wenn es einem gut geht. Man denkt nicht wirklich darüber nach, warum es einem gerade gut geht. Man feiert und freut sich dann, aber schreibt nicht unbedingt direkt ein Lied darüber. 

Wie ist der Unterschied zwischen euren Konzerten zur letzten Platte und zur Aktuellen?
Enno:
 Gute Frage. Hm, naja, wir sind halt jetzt zu viert, was sehr schön ist, weil ich dann zwischendurch auch mal aufstehen und das Ganze auflockern kann. Das war notwendig, weil wir bei dieser Platte vom Instrumentarium noch einen drauf gesetzt haben. Der Onno spielt dann auch mal Fahrradspeichen, irgendwelche Toms, Flächen und singt. Das ist auf jeden Fall eine große Bereicherung. 

Aber die Konzerte sind doch sicher größer als zur ersten Platte, oder nicht? Ihr habt ja im Zuge des aktuellen Langspielers ordentlich Auftrieb bekommen.
Enno:
 Ich kann das selbst irgendwie gar nicht richtig wahrnehmen, wie die Außenwirkung ist. Keine Ahnung, ob wir jetzt größer sind oder nicht. Aber ich kann sagen, dass die Klickzahlen der Videos gestiegen sind. Vor allem die der positiven Lieder, was mich doch sehr wundert. Ich hab da mal mit Thomas Hessler (Fotos) drüber gesprochen, der auch gesagt hat, das einzig positive Stück, was er mal geschrieben hat, war ein großer Erfolg, der Rest kam nicht so gut an. Da hab ich gerade so ein bisschen Angst, dass das bei uns auch so ist. (lacht)

Wie wichtig ist der Verkaufserfolg denn heutzutage?
Enno: 
Naja, leben können wir davon eh nicht. (lacht) Man lebt dafür und nicht davon. Ich bin wahnsinnig dankbar dafür, dass es jeden Abend Menschen gibt, die zu uns kommen. Aber leben im Sinne von, ich kann eine Familie ernähren, das ist im Moment noch nicht in Aussicht. Daran möchte ich gerne arbeiten, aber auch nicht krampfhaft. Ich will nicht auf Biegen und Brechen irgendwas produzieren, nur, weil es mehr Menschen gefällt. 

Du bist gelernter Kirchenorganist, hast in Bars gespielt. Wie viel Einfluss hat es auf die Musik, wenn man ihre Harmonie, Theorie, Geschichte und Systematik kennt?
Enno:
 Das ist manchmal praktisch, wenn man für Andere Noten schreiben kann. Wenn man dann Bläser oder Chöre einbauen will, schreibt man das halt schnell mal auf. Trotzdem versuch ich immer noch herauszufinden, mit welchen Mitteln bei mir Gänsehaut entsteht und warum das so ist. Das möchte ich bei meiner Musik konditionieren und anwenden. 

Gibt es kirchenmusikalisch inspirierte Momente auf „Wir Sind Vorbei“?
Enno:
 Ja, da würde ich das letzte Stück „Präludium“ nennen. Es gibt ja auch ein bekanntes Präludium von Bach, das ist stilistisch auf jeden Fall ein wenig davon inspiriert – dieses Pattern, das harmonisch immer mehr durchgeführt wird. Aber insgesamt ist die Musik nur sekundär an Klassik orientiert. Ich hab das zwar auch behandelt, aber Elbow und Arcade Fire hatten sicherlich größeren Einfluss. 

 Wie wäre die Vorstellung ein Enno Bunger-Konzert in der Kirche zu spielen?
Enno:
 Ja, ich finde Kirchen sind tolle Gebäude, es gibt nur wenige Räume, die so eine tolle Akustik erschaffen. Habe ich tatsächlich noch nie gemacht, aber wir spielen immer gerne an allen möglichen, verrückten Orten. Wir haben ganz oft auf irgendwelchen Schiffen gespielt, über oder unter Deck. Haben mal in einem Altenheim gespielt und Wohnzimmerkonzerte gemacht. Unbedingt wollen wir mal in einem Fahrstuhl spielen, in einem zehnstöckigen Haus. Die Band spielt im Fahrstuhl und die Leute müssen dann immer die Treppen hochgehen, um auf jedem Stockwerk einen Song zu hören. 

Du hast mal gesagt
„Es gibt Kritiker, aus deren Rezensionen hervorgeht, dass sie sich aus Zeitmangel nur mit den ersten beiden Stücken beschäftigt haben und uns wegen eines von zehn Stücken in die überfüllte Coldplay-Schublade quetschen.“ Was unterscheidet deiner Meinung nach einen guten von einem schlechten Musik-Kritiker? 

Enno: Generell finde ich Menschen toll, die sich mit Musik auseinandersetzen. Ich finde nur Kritik, die oberflächlich ist, die anderen Ebenen nicht sieht, schlecht. Es ist dann schade, wenn jemand in einer Kritik schreibt, „Wenn man diesen Titel hört, will man die restlichen Stücke gar nicht mehr hören“. Und dieser Rezensent hat sich dann auch tatsächlich nicht mit dem Rest beschäftigt. Das finde ich dann wirklich schade. Es sind doch viele unterschiedliche Arten von Musik darauf, da gibt es jazzige, poppige, ruhige und klassische Stücke. Eines klingt nach Hamburger Schule, ein anderes wie eine Star Trek-Melodie. Nichtsdestotrotz muss es das natürlich auch geben, dass es manchen Menschen nicht gefällt.


Beschäftigst du dich denn mit den Rezensionen zu eurer Musik?
Enno: 
Beim ersten Album tatsächlich nicht so sehr wie hier, weil das jetzt so persönlich ist, dass ich das wissen will. Ich bin eben sehr zufrieden und stolz auf die CD, deshalb möchte ich gerne, dass sich die Kritiker damit auch richtig auseinandersetzen, wenn sie es denn tun, und mich nicht als „Schmerzensmann“ titulieren. Das passt nämlich eigentlich überhaupt nicht zu meinem Charakter. 

Du hast kürzlich Ostfriesland den Rücken zugekehrt und bist nach Hamburg gezogen. Einziges Überbleibsel deiner Heimat ist dein Tee, dessen Konsum du bei jedem Auftritt geradezu zelebrierst. Was hat es mit dieser Teezeremonie auf sich?
Enno:
 Naja, ich hab mich einfach gefragt, wer ich bin und wo ich herkomme. Man hat mir eben schon im Alter von drei Jahren immer Tee in die Flasche gefüllt. Das Tee trinken ist eben auch so ein wenig ironisch gemeint. Aber ich finde auch, dass Tee trinken so ein wenig wie Platten hören ist, anstatt CDs. Man muss sich mehr Zeit dafür nehmen und es ist geselliger. 

Hast du eine Lieblingssorte?
Enno:
 Ja, der Ostfriesentee mit Sahne und Kluntje – also Kandis-Zucker. 

Wo hast du in der Vergangenheit am meisten versagt?
Enno:
 Ich werde manchmal meinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht, sodass ich mich selbst enttäusche. Außerdem lenke ich mich oft zu sehr vom Wesentlichen ab, z.B. verbringe ich sehr viel Zeit mit Facebook, das nervt echt. Das versuch ich gerade schon zu ändern, indem ich mich auf Bücher konzentriere. Vielleicht muss ich ebenfalls noch lernen, besser mit Kritik umzugehen. Ich lese immer alles und nehme mir das sehr zu Herzen. 

Und was möchtest du unbedingt noch einmal machen?
Enno: 
Ich will unbedingt einmal ein Orchester-Konzert spielen. Ich weiß nicht, ob es mit der Platte sein muss, aber generell würde ich gerne mal Stücke dafür komponieren. Ich finde das ist noch größere Kunst, für Orchester zu schreiben. 

Interview: Sophie Lagies

(motor.de)

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